Um mit dem Singen anzufangen, ist es nie zu spät. Neben den sozialen Vorteilen rücken
mehr und mehr auch die gesundheitlichen in den Mittelpunkt. Singen stärkt das Immunsystem
und verbessert das seelische Wohlbefinden. Der Organismus von Chorsängern produziert
vermehrt das „Kuschelhormon“ Oxytocin, das als harmoniestiftend gilt.
Insgesamt verändern Singen und Musizieren den Herzschlag, den Blutdruck, die Atemfrequenz
und die Muskelspannung des Menschen. Und sie beeinflussen den Hormonhaushalt.
Schnelle und aggressive Klänge setzen Adrenalin frei, ruhige Töne Noradrenalin. Bestimmte
Melodien können daher zum Beispiel die Ausschüttung von Stresshormonen verringern und
die Konzentration von schmerzkontrollierenden Betaendorphinen im Körper erhöhen.
Deshalb kann Musik tatsächlich Schmerzen dämpfen und wird heute in den verschiedensten
Bereichen der Medizin therapeutisch eingesetzt. Auch in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten
und in der Geriatrie ist sie ein wichtiges Hilfsmittel. Denn Muszieren kann wie ein
Jungbrunnen für das Gehirn sein, weil dabei neue Nervenverschaltungen gebildet werden.
Erste Erfahrungen mit Demenzpatienten zeigen, dass die Lieder der Kindheit bleiben, selbst
wenn alles andere vergessen wird.
Monika Willer
Warum Singen die Gesundheit stärkt
Die Wirkungen von Dur oder Moll beschäftigen seit Langem die Wissenschaft: Jetzt fanden Forscher heraus, dass es, was die Wirkungen der Klänge auf den Menschen angeht, einen großen Unterschied macht, ob sie selber produziert werden oder ihnen nur zugehört wird.
Wer gerne unter der Dusche singt, stärkt ganz nebenbei sein Immunsystem – unabhängig davon, ob er zu schiefen oder lupenreinen Tönen neigt. Vor allem klassische Musik entspannt und kann bereits Ungeborene im Mutterleib beruhigen. Jetzt fanden Forscher heraus, dass es, was die Wirkungen der Klänge auf den Menschen angeht, einen großen Unterschied macht, ob sie selber produziert werden oder ihnen nur zugehört wird.
Selber singen ist das Gesündeste für den Körper, fanden Forscher vom Institut für Musikpädagogik der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/M. heraus. In einem Pilotprojekt untersuchten die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sängerbund den Laienchor einer Kirchengemeinde.
"Unsere Probanden waren acht Männer und 23 Frauen", so Professor Dr. Hans Günther Bastian, der das Projekt leitete. "In früheren Studien konnten endokrine Reaktionen sowohl beim Rezipieren (Hören) als auch Produzieren (Singen) von Musik nachgewiesen werden. Ein direkter Vergleich dieser unterschiedlichen musikalischen Tätigkeiten in ihren Effekten auf das Hormonsystem wurde jedoch noch nicht durchgeführt. Deshalb war bislang ungeklärt, in welchem Ausmaß die Wirkungen auf das Hormonsystem durch passive oder aktive Beteiligung des Organismus beeinflusst werden", erläutert Bastian.
Als Musik diente sowohl beim Singen als auch beim Hören der Vergleichsgruppen Mozarts Requiem. Jeweils vor und nach der Chorprobe bzw. dem Hören der Musik wurden den Versuchsteilnehmern Speichelproben entnommen. "Die Speichelproben wurden ausgewertet und die absoluten Mengen von IgA, Albumin (Eiweißkörperchen) und Cortisol in jeder einzelnen Probe bestimmt", hebt Bastian hervor. Ein sogenanntes Positive-and-Negative-Affect-Schedule (PANAS) gab den Forschern zudem Informationen über das subjektive Befinden der Sänger über ein Zeitintervall von 60 Minuten.
Stresshormon wird abgebaut
Als Ergebnis zeigte sich ein Abfall des Stresshormons Cortisol in gleicher Menge, sowohl beim eigenen Musizieren als auch bei der akustischen Aufnahme des Stücks. Als Indikator-Größe für einen Anstieg der Immunleistung dienten die Immunglobuline A. Das Resultat der Pilotstudie belegte eine signifikante positive Veränderung beim eigenen Singen. Das bloße Hören von Musik ließ das Immunsystem kalt.
Außerdem hatte sich bei den Sängerinnen und Sängern zusätzlich die Stimmung nach der einstündigen Chorprobe aufgehellt. Aktives Singen bringt demnach deutlich stärkere Wirkungen für die Gesundheit als das bloße Anhören. In Deutschland profitieren demnach 3,2 Millionen aktive Chorsänger in rund 60000 Chören von diesem Einfluss ihres Hobbys auf das Immunsystem.
Ohnehin schreibt Bastian der Musik noch eine Fülle gewinnbringender Eigenschaften zu. Er fordert, die Musik in Schulen wieder mehr zu beachten: "Die heutige Schule braucht die Sinnlichkeit und den Sinn der Musik", sagt er, "weil unsere Kinder teils gefährdete oder schon verloren gegangene Sekundärtugenden benötigen: Ausdauer, Wille zur und Lust an Leistung, Konzentration, Motivation, Flexibilität, Kreativität, Engagement – alles Tugenden, die das Musizieren par excellence fordern und fördern kann." Vor allem Singen sei ein archaisches, elementares Ausdrucksbedürfnis.